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Die Filmkritik

Die Filmkritik

Boyhood (USA 2014)

Wenn ich einen neuen Regisseur entdecke, dessen Filme in der Regel überdurchschnittlich gut sind, dann fühle ich mich wie ein Kind, das über Nacht in einem Süßwarenladen eingeschlossen ist. Meine Begeisterung kennt keine Grenzen.

So zuletzt geschehen bei Richard Linklater.

Ich hatte kürzlich begeistert seine „Before“-Trilogie besprochen, die sich über einen Zeitraum von 18 Jahren erstreckt. Neun Jahre nach dem ersten Film folgte die Fortsetzung. Wiederum neun Jahre später der dritte Teil.

An „Boyhood“ bin ich mit entsprechender Vorfreude herangegangen. Etwas gebremst wurde mein Enthusiasmus, weil der Film mit bald drei Stunden doch arg lang ist. Wenn ein Film aber gut ist, dann denke ich immer, er könnte noch viel länger sein. Komischerweise passiert mir das regelmäßig bei Familiengeschichten, wenn sie gut in Szene gesetzt sind.

Wie der Titel vermuten lässt, spielt die Hauptrolle ein Junge. Mason ist anfangs sechs oder sieben. Er wohnt zusammen mit seiner Schwester bei seiner Mutter, die vom Vater der Kinder getrennt lebt.

Das sind die Eckpunkte, aus denen sich der Film entwickelt, ohne jedoch eine richtige Geschichte im herkömmlichen Sinne zu erzählen. Der Film erinnert eher an ein Puzzle, das einmal diese Szene aus Masons Leben zeigt, und dann jene. Bitte nicht falsch verstehen: Der Film wird chronologisch erzählt, aber oft fehlen Szenen, die andere Filme vielleicht gezeigt hätten, und der Zuschauer muss sich einen Reim darauf machen.

Nach und nach wird Mason größer. Vom kleinen Kind zum größeren Kind, vom jungen Teenager zum älteren Jugendlichen. Auch die Erwachsenen sehen immer wieder anders aus. An einem Punkt begann ich mich zu fragen: Wie haben die das gemacht? Das würde der beste Maskenbildner nicht hinbekommen! Und wie haben die diese ganzen Kinder gefunden, die sich so ähnlich sehen?

Gespielt wird Mason – in jedem Alter – von Ellar Coltrane. Also wie hat Richard Linklater das gemacht? Er hat einmal im Jahr Schauspieler und Crew zusammengetrommelt und ein paar Wochen lang gedreht. Und das über einen Zeitraum von zwölf Jahren. Masons Schwester, gespielt von Richard Linklaters Tochter Lorelei, ist anfangs ganz klein und am Ende des Films eine junge Frau. Patricia Arquette, die die Mutter spielt, sieht alle paar Filmminuten anders aus, und Ethan Hawke, Masons Vater, altert zusehends.

Ursprünglich sollte der Film „Twelve Years“ heißen. Zur selben Zeit lief aber „Twelve Years a Slave“ an, daher wurde der Titel geändert.

Mich hat dieser Film ähnlich fasziniert wie die „Before“-Trilogie, denn Richard Linklater hat es einfach drauf, eine Beziehungs- bzw. Familiengeschichte zu erzählen. Ein ganz wunderbarer Film, der mich sofort gefesselt hat. Wie anfangs angedeutet, hätte er von mir aus trotz der Spielzeit von 2 Stunden 45 noch länger sein können.

Everybody Wants Some (USA 2016)

Richard Linklater dreht gute Filme über Beziehungen, Freundschaften und das Erwachsenwerden. Auf eine Stufe mit dem französischen Regisseur Eric Rohmer will ich ihn damit aber noch lange nicht stellen, denn Rohmer steht für mich auf einem Podest. Dieser typische Rohmer-Touch ist m.E. unerreicht. Doch zurück zu Richard Linklater.

Der Film „Boyhood“ endet damit, dass der Protagonist aufs College geht. Man könnte diesen Film hier daher beinahe als eine Art Fortsetzung ansehen. Auch wenn „Everybody Wants Some“ zeitlich deutlich vor „Boyhood“ angesetzt ist.

Der Freshman, der Neue, lebt in einem Paradies. Zudem hat er als Hauptfach Baseball. Wer in den USA gut in Sport ist, muss sonst nicht viel Ahnung haben. Lassen wir das einmal dahin gestellt. Keine Sorge: Es gibt nur eine Szene, in der es um Baseball geht, einem Spiel, das ich in 100 Jahren nicht verstehen werde. Schlimmer nur ist das britische Original: Kricket.

Der Freshman findet schnell Freunde. Deren einziges Lebensziel ist es – in alphabetischer Reihenfolge: Kiffen, Saufen, Spaß und in letzter Konsequenz genau das Mädchen zu kriegen, auf das man ein Auge geworfen hat. Und wenn nicht: dann ist es eben eine andere.

Der Zuschauer hat genauso so viel Spaß wie die Bande der Studenten. Linklater ist ein Profi und weiß genau, wie er das alles in Szene setzen kann ohne auch nur eine Minute zu langweilen (oder politisch korrekt sein zu wollen).

Es wird gekifft, gesoffen, geflirtet, ge-wasweißich, alles ist ein Riesenspaß. Immer dabei die Musik, die 1980 gerade von Rock- auf Popmusik umschwenkte.

Der Film endet mit dem vermeintlichen Ernst des Lebens: der ersten Unterrichtsstunde am College. Aber bis dahin haben Protagonisten und Zuschauer so viel Spaß gehabt, dass alle genau wissen: Das Vergnügen wird hier noch längst nicht vorbei sein.

Post source : JC

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