
Pekings Strafverfolgungstaktiken jenseits chinesischer Grenzen werden unter die Lupe genommen, nachdem ein Bericht aufgedeckt hat, dass es in Dutzenden nichtchinesischen Städten chinesische Polizeireviere gibt.
Im Rahmen eines Pilotprogramms, das von den Behörden für öffentliche Sicherheit der Kreise Fuzhou und Qingtian in den Küstenprovinzen Fujian bzw. Zhejiang durchgeführt wird, wurden nach Angaben der in Spanien ansässigen Nichtregierungsorganisation Safeguard Defenders bis zum 21. Juni 54 „Polizeidienststellen im Ausland“ auf fünf Kontinenten, in 25 Städten und 21 Ländern eingerichtet.
Die Auslandsdienststellen wurden im Namen der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität eröffnet, insbesondere des Telekommunikationsbetrugs, bei dem bereits zahlreiche im Ausland lebende Chinesen festgenommen wurden. Zu den Aufgaben der Dienststellen gehöre auch die Erbringung von Verwaltungsdienstleistungen wie die Erneuerung chinesischer Führerscheine, heißt es in dem Bericht.
Safeguard Defenders bezeichnete Chinas Polizeiltaktik als problematisch, da sie auf Verdächtige abziele, ohne eine Verbindung zu einem Verbrechen festzustellen oder ein ordnungsgemäßes Verfahren in den Gastländern einzuhalten, vor allem durch die Nötigung von Familienangehörigen mutmaßlicher Flüchtlinge, um sie zur Rückkehr zu „überreden“.
Zwischen April 2021 und Juli 2022 haben die chinesischen Behörden auf diese Weise 230.000 Verdächtige festgenommen, die meisten davon in Südostasien, so die NGO.
In den Vereinigten Staaten weisen die Daten des Berichts auf ein solches Dienstleistungszentrum in New York City hin. In Kanada wurden drei in Toronto eingerichtet.
In Südamerika gab es je eines in Chile, Argentinien und je zwei in Ecuardor und Brasilien.
Die meisten chinesischen Auslandspolizeireviere befinden sich in Europa, darunter neun in Spanien. Italien steht mit vier Revieren auf Platz zwei in Europa. In Frankreich sind drei Reviere in Paris tätig. Auch in Portugal und in Großbritannien gibt es je drei.
In den Niederlanden und der Tschechischen Republik gibt es je zwei solcher Zentren.
Zu den europäischen Ländern, die jeweils nur eine chinesische Polizeistation beherbergen, gehören Dublin, Bratislava, Frankfurt, Athen, Stockholm, Wien, Odessa und Belgrad.
In Afrika gibt es jeweils eine Station Nigeria, Lesotho und Tansania.
In Asien gibt es mindestens je ein Polizeizentrum in der Mongolei, in Usbekistan, Brunei, Tokio und Phnom Penh.
Im Bericht von Safeguard Defenders heißt es, dass die öffentlich zugänglichen Zahlen nur eine unvollständige Liste von Aktivitäten darstellen, die mit den Polizeidienststellen in Verbindung stehen, und dass es wahrscheinlich noch viele weitere Aktivitäten gibt, die mit der Polizei anderer chinesischer Großstädte in Verbindung stehen.
Dem Bericht zufolge sind die Auslands-Stationen oft in Vereinigungen chinesischer Gemeinden in Übersee eingebettet.
Ein besorgniserregenderer Faktor chinesischer Polizeieinsätze auf ausländischem Boden ist jedoch, dass Peking gezielt gegen politisch Andersdenkende und andere Personen vorgeht, die wahrscheinlich verfolgt werden, sobald sie zur Rückkehr in ihre Heimat „überredet“ werden, so die NGO. Die „Überredung zur Rückkehr“ erlaube es den Behörden, juristische Protokolle wie den Schutz des Rechts der Zielperson auf ein faires Verfahren zu umgehen.
„Diese Operationen umgehen die offizielle bilaterale polizeiliche und rechtliche Zusammenarbeit und verletzen die internationale Rechtsstaatlichkeit und können die territoriale Integrität von Drittländern verletzen, die an der Einrichtung eines parallelen Polizeimechanismus mit illegalen Methoden beteiligt sind“, heißt es in dem Bericht.
Der Verzicht auf jeden Vorwand eines ordnungsgemäßen Verfahrens oder die Berücksichtigung der Unschuld von Verdächtigen bis zum Beweis ihrer Schuld, die gezielte Verfolgung von Kindern und Verwandten von Verdächtigen in China als ‚schuldig durch Assoziation’ oder ‚Kollateralschaden’ und der Einsatz von Drohungen und Einschüchterung, um Verdächtige im Ausland ins Visier zu nehmen, wird nun selbst zu einem endemischen Problem“, so der Bericht.
„Unabhängig davon, ob es sich bei den Zielpersonen um Dissidenten, korrupte Beamte oder Kleinkriminelle handelt, bleibt das Problem dasselbe: Der Einsatz irregulärer Methoden – oft eine Kombination aus Zuckerbrot und Peitsche – gegen die Zielpersonen oder ihre Familienangehörigen in China untergräbt jedes ordnungsgemäße Verfahren und die grundlegendsten Rechte der Verdächtigen“, so Safeguard Defenders abschließend.
Die spanische Zeitung El Correo bestätigte einige der Bedenken der NGO, als sie einen ungenannten chinesischen Diplomaten mit den Worten zitierte: „Die bilateralen Verträge sind sehr sperrig, und Europa zögert, an China auszuliefern. Ich sehe nicht, was daran falsch sein soll, Kriminelle unter Druck zu setzen, damit sie sich der Justiz stellen …“
Das chinesische Außenministerium erklärte als Reaktion auf einen weiteren Bericht von Safeguard Defenders: „Chinas Justiz- und Strafverfolgungsbehörden halten sich strikt an die internationalen Regeln und respektieren voll und ganz die juristische Souveränität anderer Länder.“
Ein Sprecher sagte, die Ergebnisse der NGO seien „voller Spekulationen und Lügen.“