
Der Mangel an Psychiatern lässt in Thailand die Anzahl depressiver und suizidaler Patienten sprunghaft ansteigen.
Die Zahl der Menschen in Thailand, die an psychischen Problemen leiden, ist von 1,3 Millionen im Jahr 2015 auf 2,3 Millionen im vergangenen Jahr gestiegen. Auch die Zahl der Selbstmorde nimmt zu. Der HALLO hatte berichtet.
Die alarmierenden Zahlen deuten darauf hin, dass die psychische Gesundheit des Landes eine tickende Zeitbombe ist, die dringend entschärft werden muss, um verheerende Auswirkungen zu vermeiden.
Vergeudete Leben
Eine Mutter berichtete von ihren Ängsten. Sie beobachtete, wie das Leben ihres Sohnes außer Kontrolle geriet. Er nahm Drogen, um mit seinen psychischen Problemen fertig zu werden.
„Ich habe die Veränderung in seinem Verhalten bemerkt, konnte mir aber keine Behandlung leisten“, sagte die Mutter unter der Bedingung der Anonymität.
Ihr Sohn, der heute 25 Jahre alt ist, arbeitete als Mechaniker in einer Autowerkstatt, bevor sich sein Gesundheitszustand verschlechterte.
„Heute sitzt er nur noch faul herum und starrt den ganzen Tag in die Ferne“, sagte sie. „Ich habe weder das Geld noch den sozialen Status, um ihn in eine Drogenrehabilitation zu schicken.“
Begrenzter Zugang zur Behandlung
In Thailand gibt es nur 845 praktizierende Psychiater – das ist etwa einer pro 100.000 Einwohner. Schätzungsweise eine von 2721 Personen benötigt jedoch eine Beratung.
Verglichen mit der Schweiz, in der 47,17 Psychiater auf 100.000 Menschen kommen, ist das Verhältnis in Thailand winzig.
Aufgrund der enormen Arbeitsbelastung haben die Therapeuten in den staatlichen Krankenhäusern Thailands nur wenig Zeit, um sich jedem Patienten zu widmen.
Einem Bericht von Prof. Dr. Thammanard Charernboon zufolge sollte jede Beratungssitzung für einen bekannten Patienten mindestens 15 Minuten dauern, während ein neuer Patient mindestens eine halbe Stunde Zeit haben sollte.
„Basierend auf diesem Standard sollten Psychiater vier Stunden für nicht mehr als 20 Patienten aufwenden“, heißt es in dem Bericht weiter.
Gegenwärtig versorgen die staatlichen Psychiater alle vier Stunden zwischen 30 und 50 Patienten, da die Wartezeiten sonst ins Unermessliche steigen würden.
Wie lange kann man warten?
Orn (45) kämpft seit mehr als zehn Jahren gegen psychische Erkrankungen. Sie versucht ihr Bestes, um mit ihrem Job und ihren Kollegen zurechtzukommen, gab aber schließlich auf, weil ihr die psychischen Probleme über den Kopf wuchsen.
„Es hat lange gedauert, bis meine Familie und ich die Wahrheit akzeptieren konnten: dass ich psychisch krank bin“, sagt sie. „Es ist schwierig, sich der Realität zu stellen. Wir fingen erst an, diese schmerzhafte Wahrheit zu akzeptieren, als sich meine psychische Erkrankung negativ auf die Menschen in meinem Umfeld auswirkte.“
Sie sagte, ihre Familie habe sich an mehrere staatliche Krankenhäuser gewandt, in der Hoffnung, einen Termin bei einem Psychiater zu bekommen, aber man habe ihnen gesagt, sie müssten drei bis vier Monate warten.
„Meine Familie wusste, dass ich nicht länger warten konnte, also schickten sie mich in ein Privathospital. Die Arzthonorare und Medikamente waren teuer, und ich hatte keine Versicherung. Aber ich hatte keine andere Wahl, da ich meine geistige Gesundheit retten wollte.“
Ihre erste Sitzung dauerte fast eine Stunde, und danach musste sie jeden Monat ihren Psychiater aufsuchen. Jeder Besuch kostete fast 20.000 Baht, wobei sie den größten Teil davon für die Medikamente ausgab, die ihr verschrieben wurden.
„Sie waren teuer. Aber ohne die Behandlung wäre ich nicht in der Lage gewesen, mit anderen zusammenzuleben“, berichtete Orn.
Sie fügte hinzu, dass sie, sobald sich ihr Zustand verbessert hatte, nicht mehr zum Arzt ging, um Geld zu sparen. Sie ist jetzt auf rezeptfreie Tabletten angewiesen und steht auf einer Warteliste für einen Termin bei einem Psychiater des öffentlichen Gesundheitswesens.
Ausbildung braucht Zeit
Der Sprecher der Abteilung für psychische Gesundheit, Dr. Varoth Chotpitayasunondh, erklärte, dass es lange dauert, bis ein Psychiater ausgebildet ist, da die Ausbildung erst nach dem Abschluss des Medizinstudiums und einer dreijährigen Tätigkeit als Allgemeinmediziner beginnen kann.
Psychiater müssen drei Jahre lang ausgebildet werden, während diejenigen, die sich auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen spezialisieren wollen, ein zusätzliches Ausbildungsjahr benötigen.
„Die Ausbildung ist auch nicht kostenlos. Die Anwärter müssen die Kosten selbst tragen oder versuchen, ein Stipendium zu erhalten“, sagte Dr. Varoth, der auch Psychiater ist.
Er fügte hinzu, dass nur sehr wenige Stipendien für dieses Fach zur Verfügung stehen, da die einschlägigen Organisationen nur dann finanzielle Unterstützung gewähren, wenn sie Ersatz suchen.
„Die Kapazitäten sind ebenfalls begrenzt, denn um einen Psychiater auszubilden, müssen wir drei sehr erfahrene Dozenten ausbilden, die sich auf dieses Fachgebiet spezialisiert haben“, sagte er. „Wie Sie wissen, haben wir nicht viele Psychiater im Land, geschweige denn Spezialisten.“
Retter in der Not?
Thailand kann sich damit trösten, dass klinische Psychologen einen Teil der Arbeit von Psychiatern übernehmen können, obwohl sie keine Medikamente verschreiben dürfen. Doch auch diese Fachkräfte sind rar gesät.
„Auch bei uns gibt es einen Mangel an klinischen Psychologen“, sagte Varoth.
In den staatlichen Krankenhäusern in Trat, Phrae, Samut Songkhram, Singburi, Nong Bua Lamphu und Ang Thong gibt es keinen einzigen Psychologen, während in Loei nur ein Psychologe für 52.717 Patienten zuständig ist.
Die Abteilung für psychische Gesundheit und die Thai Counseling Psychology Association arbeiten nun eng zusammen, um Standards festzulegen, damit die Beratungspsychologen dazu beitragen können, die Lücke zu schließen.
Es wird jedoch erwartet, dass dieser Prozess noch vier bis fünf Jahre dauern wird, da er viele Akteure einbezieht und die Ausarbeitung solider Vorschriften erfordert.
Krise im Norden
Von allen Regionen Thailands sind Selbstmorde offenbar im Norden am stärksten verbreitet. Mae Hong Son wies in drei der fünf Jahre zwischen 2016 und 2020 die höchste Zahl an Selbstmordfällen auf. Chiang Mai, Chiang Rai, Phrae, Tak, Nan und Lampang verzeichneten ebenfalls eine hohe Zahl von Selbstmorden. Bis auf Tak liegen alle diese Provinzen im Norden.
Die Zahlen für das Jahr 2020 zeigen, dass es in Mae Hong Son 17,44 Selbstmorde pro 100.000 Menschen gab, während das Verhältnis in Tak und Chiang Mai bei 15,46 bzw. 14,61 lag.
„Wir haben festgestellt, dass immer mehr Menschen in Thailand an Depressionen leiden“, sagte Varoth.
Im Juni dieses Jahres hatten schätzungsweise 1,35 Millionen Thais Depressionen. Gleichzeitig stieg die Zahl der Patienten, die wegen Depressionen behandelt wurden, von 4295 im Jahr 2013 auf 259.467 im Jahr 2017. Das ist das 60-Fache.
„Dieser Anstieg lässt sich auf zwei Faktoren zurückführen: mehr Stress und ein größeres Bewusstsein für psychische Probleme“, sagte Dr. Varoth.
Immerhin gibt es eine gute Nachricht für Kinder in Thailand: Ob gebrochenes Herz, meckernde Eltern, gestorbene Haustiere oder andere Probleme: jetzt gibt es endlich ein offenes Ohr für alle Kinderprobleme. Die Telefonnummer der Seelsorge für Kinder lautet: 1387. Oder @saidek1387 auf Twitter, Line und Instagram.