
Man lernt sich nicht mehr auf der Arbeit oder beim Einkauf oder in der Disco kennen, sondern auf Partnervermittlungsplattformen wie Tinder. So ist das im normalen Leben heutzutage.
In der Netflix-Dokumentation von Felicity Morris aus dem Jahre 2022 berichten Frauen über ihre Erfahrungen mit einem Mann, den sie auf Tinder kennengelernt haben.
Die erste erzählt in aller Ausführlichkeit, dass sie sich schon beim ersten Date wie eine Prinzessin gefühlt habe. Dieses erste Treffen mit dem Mann fand im Restaurant eines Fünf-Sterne-Hotels statt. Beim Essen erzählte er ihr, er sei der Spross einer Diamantenhändler-Dynasie und sehr wohlhabend. Er müsse nach dem Essen eine Geschäftsreise antreten und lud sie ein, ihn in seinem Privatjet zu begleiten.
Die Frau nahm das Angebot an – und damit begann das Abenteuer ihres Lebens. Oder vielmehr der Alptraum ihres Lebens.
Wie viele andere vor ihr war sie auf den Tinder-Schwindler, der viele Namen hat und ursprünglich aus Israel stammt, hereingefallen. Wie ein Heiratsschwindler war er nur ein Hochstapler ohne eigenen Besitz, der den Frauen das Geld aus der Tasche zog.
Wenn sich die Beziehung nach rund einem Monat gefestigt hatte, begannen die Geldforderungen. Die Frau berichtet detailliert, wie er sie verbal so unter Druck setzte, dass sie neun Kredite über insgesamt eine Viertel Million Dollar aufnahm und ihrem Freund überließ.
Der sich mit diesem Geld mit anderen Frauen vergnügte, um diesen etwas vorzumachen, um im Anschluss dann deren Geld auszugeben.
Es ist schon recht bizarr, wie die Geschichte bei allen Frauen nach dem immer gleichen Muster abläuft.
Irgendwie kommt man als (männlicher) Zuschauer zu dem Schluss, und da laufe ich natürlich Gefahr, der Damenwelt zu nahe zu treten, dass sich Frauen von Männern sehr schnell mit Geld blenden lassen und die Frauen dann zu allem bereit sind.
Ja, kann es denn wirklich wahr sein, liebe Damen, dass es ausreicht, bei einem ersten Date in einem piekfeinen Lokal zu speisen und danach mit einem Learjet in der Gegend herum zu fliegen, damit Sie sich hoffnungslos in mich verlieben und alles für mich tun – inklusive die Schenkung Ihrer Ersparnisse?
Und dann wird den thailändischen Frauen auch noch vorgeworfen, dass sie aus europäischer Sicht wie vor 150 Jahren denken und mehr als offensichtlich daran interessiert sind, eine gute Partie zu machen.
Die Frauen, die in dieser Dokumentation zu Wort kommen, stammen aber nicht aus Thailand, sondern es handelt sich um zwei Skandinavierinnen und eine Holländerin.
Demnach ist es kein Wunder, dass dieser Film mit einem Ausschnitt aus „Blondinen bevorzugt“ von 1953 eingeleitet wird, in dem Marilyn Monroe sagt: „Wissen Sie, mit reichen Männer ist es wie mit hübschen Mädchen. Man heiratet kein Mädchen, nur weil es hübsch ist, aber es hilft, oder?“
Was diesen Dokumentarfilm so überraschend unterhaltsam macht, ist, dass die drei Opfer, die ihre Geschichte erzählen, sich als meisterhafte Geschichtenerzähler erweisen. Tatsächlich besteht ein Großteil des Films darin, sie einfach reden zu lassen, wenn auch unterstützt durch ihre Handy-Kommunikation, die für die Nachwelt gespeichert wurde, und die Nachstellung von Szenen. Hinzu kommen gut in Szene gesetzte Aufnahmen von Originalschauplätzen wie Oslo, London, Stockholm, Amsterdam, Prag, Israel und Griechenland. Fast wie in einem James-Bond-Film. Nur ist Bond der Böse, wie die Bond-Girls zu berichten wissen. Man kann sich kaum vorstellen, wie es für die Frauen gewesen sein muss, so etwas zu durchzumachen.
Weiterhin ist es faszinierend zu sehen, wie clever dieser Tinder-Schwindler ist und wie er es geschafft hat, so viele intelligente Frauen abzuzocken, die doch nur auf der Suche nach einer Romanze und/oder Freundschaft waren und sich diese teuer erkauft haben.
In der ersten Stunde der Dokumentation wird detailliert erklärt, wie der Schwindel funktioniert hat. In der zweiten Hälfte begleiten Journalisten die Frauen bei ihrer Suche nach dem Schwindler. Hier beginnt quasi der Krimiteil dieser Dokumentation.
Es handelt sich wirklich um einen gut gemachten Film, der sicherlich nicht zu dem Ende führt, das der Zuschauer gerne sehen würde. Hier greift wieder einmal die altbekannte Weisheit: Das Leben ist kein Spielfilm.