
Es handelt sich um die schwerste diplomatische Krise zwischen China und einem europäischen Staat seit Jahrzehnten.
Eine der Lieblingsbeschäftigungen der chinesischen Regierung ist es, die westlichen Demokratien davor zu warnen, einen neuen Kalten Krieg zu beginnen. Eine friedliche Welt braucht mehr „Win-Win“-Zusammenarbeit, sagen Vertreter der Kommunistischen Partei, und nicht noch mehr ideologische Cliquen.
Doch in diesem Winter klingen diese Worte in Pekings Botschaftsviertel hohl. An der diplomatischen Front ist es China, das einen unerklärten Kalten Krieg begonnen zu haben scheint. Und die Chinesen sind zuversichtlich, diesen Krieg zu gewinnen.
Ein erstes Scharmützel fand am 15. Dezember 2021 statt, als die kleine baltische Republik Litauen alle ihre Diplomaten und deren Angehörige „zu Konsultationen“ aus Peking abzog und die Botschaft verschlossen und leer zurückließ. Die Evakuierung der Botschaft folgte auf die Eskalation einer monatelangen chinesischen Kampagne, die darauf abzielte, Litauen unter Druck zu setzen und dafür zu bestrafen, dass es der Insel Taiwan erlaubt hatte, ein Vertretungsbüro in seiner Hauptstadt Vilnius zu eröffnen. China betrachtet das taiwanesische Büro als einen Affront gegen seine Souveränität, da es Taiwan als sein eigenes Territorium beansprucht und den Inselstaat keinesfalls als eigenständiges Land ansieht.
Die Evakuierung wurde nicht leichtfertig vorgenommen. Die Schließung der Botschaft ist die schwerste Krise in den Beziehungen zwischen China und einem europäischen Staat seit 1981. In jenem Jahr wurde der chinesische Botschafter in den Niederlanden als Reaktion auf den Verkauf niederländischer U-Boote an Taiwan abberufen. Die chinesisch-niederländischen Beziehungen blieben drei Jahre lang auf einem niedrigen Niveau.
Zurück in die Gegenwart: Litauen war seit September 2021 ohne Botschafter in Peking, nachdem China den Gesandten aufgefordert hatte, das Land zu verlassen. Im November 2021 erklärte China einseitig, dass die jeweiligen Botschaften der beiden Länder zu einem Büro unter der Leitung eines Geschäftsträgers degradiert würden.
Da Litauen nicht wusste, ob das Personal diplomatische Immunität behalten würde, und die Degradierung seiner Botschaft nicht akzeptieren wollte, wies es alle Diplomaten und Angehörigen an, so schnell wie möglich China zu verlassen. Die zu Evakuierenden – angespannt aussehende Erwachsene, Teenager mit Kopfhörern und eine Katze in einer Kiste – stiegen am Abreisetag in einen Bus, der von Polizisten in Zivil bewacht wurde. Kollegen aus befreundeten Botschaften versammelten sich, um ihnen eine Eskorte zum Flughafen anzubieten.
Nach Ansicht chinesischer Beamter ist jeder drohende Kalte Krieg die Schuld Amerikas, eines geschwächten, aber bösartigen Tyrannen, der Chinas Aufstieg vereiteln will. In den staatlichen Medien heißt es, Litauen, ein Land mit 2,8 Millionen Einwohnern, sei sicherlich zu klein, um China allein die Stirn zu bieten, und man wirft ihm vor, es wolle sich entweder bei Amerika einschmeicheln oder befolge direkt US-Befehle.
Doch die baltische Republik verweist auf ihre lange Geschichte, in der sie sich gegen tyrannische Ausländer gewehrt hat, darunter Nazi-Deutschland und die Sowjetunion.
Als Litauen die Eröffnung einer „taiwanesischen Repräsentanz“ in Vilnius ankündigte, kannte China kein Halten mehr. Peking wandte wie zuvor Formen des wirtschaftlichen und diplomatischen Zwangs an.
Im Gegensatz zum Kalten Krieg gegen die Sowjetunion besteht die Sorge nicht mehr darin, dass China eine Revolution exportieren oder den globalen Kapitalismus stürzen will. Stattdessen wird China als Störer der auf Regeln basierenden Ordnung gesehen, der bereit ist, Instrumente des Handels und des diplomatischen Verkehrs als Waffen einzusetzen, auch wenn die chinesische Führung das Gegenteil propagiert.
Chinas Behandlung Litauens folgt einem Muster, das sich in anderen jüngsten Auseinandersetzungen mit amerikanischen Verbündeten zeigt. Dazu gehören Australien und Kanada, die unter einem Handelsboykott zu leiden hatten und deren Staatsangehörige in bilateralen Streitigkeiten quasi als Geiseln inhaftiert wurden. Davor waren Japan und Südkorea an der Reihe, die mit unangekündigten Wirtschaftssanktionen belegt wurden, weil sie China missfielen.